Die Orgel der katholischen Pfarrei


Es gibt manche Geschichten von Menschen, die unsere Gemeinde im Kleinen und im Großen mitgeprägt haben und auch heute prägen. Begebenheiten, die nicht auf den ersten Blick zu entdecken sind, die jedoch eine kleine, manchmal verschlungene und doch wichtige Geschichte von Limburgerhof erzählen.

Alfred Delp (Mitte) auf der Kampenwand

Auf eine solche Geschichte bin ich gestoßen, als ich mich mit Alfred Delp, dem am 15.9.1907 in Mannheim geborenen Jesuitenpater, und seiner Verbindung zu Limburgerhofbeschäftigt habe. Er wurde am 2.2.1945, wie der Widerstandskämpfer Martin Bonhoeffer, in Plötzensee hingerichtet. Alfred Delp, der in sehr entbehrungsreichen Verhältnissen aufgewachsen war, bestand 1926 als Jahrgangsbester das Abitur und trat im selben Jahr in das Noviziat der Jesuiten in Tisis bei Feldkirch (Vorarlberg) ein. Ihm ist es zu verdanken, dass die 1937 geweihte katholische Kirche in Limburgerhof 3 Jahre später eine Orgel erhielt. Auf dieser Orgel hatte ich bei dem von Geburt an blinden August Tremmel Orgelunterricht erhalten.

Firmenschild Orgelbau Mayer

Im Suchen nach der Orgelbaufirma erinnerte ich mich des Firmenschildes mit der Aufschrift „Orgelbau Gebr. Mayer Feldkirch Vorarlberg“. Diesen Zusammenhängen um Alfred Delp, die Orgel und unsere Gemeinde Limburgerhof wollte ich im Einzelnen durch eine Reise am Fastnachtswochenende nach Feldkirch nachgehen.

Dabei stieß ich auf manches Überraschende. Feldkirch, die mittelalterliche malerische Stadt im äußersten Westen Österreichs, an der Ill im Quellgebiet des Rheins gelegen, am Eingang zum Montafon, an der Grenze zu Liechtenstein und der Schweiz, ist nur 30 km vom Bodensee entfernt.


Orgelbauer Albert Mayer

Pfarrer Johannes Finck beschreibt seine zehnstündige Eisenbahnfahrt von Limburgerhof nach Feldkirch im Jahr 1938 in einem Brief an den Orgelbauer Albert Mayer über Ludwigshafen, Heidelberg, Stuttgart, Ulm, Lindau, Bregenz - genau die Strecke, für die wir mit dem Auto fast 5 Stunden brauchten. Der Enkel von Albert Mayer, Gerhard Mayer, der das Geschäft jetzt an seinen Sohn weitergeben konnte, hatte mir eine Reihe von handschriftlichen, in fein säuberlicher Schrift verfassten Briefe von Pfarrer Finck an die Orgelbaufirma in den Jahren 1938 bis 1940 vorab übersandt. Darin wird man Zeuge einer schwierigen Zeit. Und wie beschwerlich es war, eine Orgel aus Feldkirch schließlich in Limburgerhof aufzubauen. Pfarrer Finck schreibt am 29.10.1939 an den Orgelbauer: „In der Kirche haben wir einen guten Luftschutzkeller eingerichtet, in dem wir auch die Zinn-Pfeifen – gut sortiert und verpackt – untergebracht haben…Die Pfalz hat schon recht sorgenvolle Wochen hinter sich…Man ist aber jetzt der Anschauung, dass der Krieg sich vielleicht anders abspielt, als man anfangs angenommen hat. Deshalb wollen wir die Orgel aufbauen. Wenn dann doch etwas passieren sollte, dann soll sie eben mit der Kirche das Schicksal teilen…Die Verpflegung ist nicht einfach. Schlafen können Sie in den „Dreizehnlinden“ (Familie Koch). Sie müssen aber Ihre Lebensmittelkarten mitbringen und wenn Sie sonst etwas auftreiben, ist es sehr willkommen…Limburgerhof ist ungefähr 50 km von der Front entfernt…“ Die beiden, der damals 65jährige Orgelbauer und der 52jährige Johannes Finck verstanden sich offensichtlich menschlich sehr gut und konnten viele Beschwernisse – so auch den Transport des Instruments auf zwei Reichsbahnautos – meistern.

Orgelbauerfirma Mayer, Vater und Sohn

Die freundliche Familie Mayer hatte uns zum Kaffee eingeladen. Dabei zeigten sie uns auch ein Foto des Uropas, wie er damals für etwa 6 Wochen zum Aufbau der Orgel in Limburgerhof geweilt hatte. Selbst sein „Fahrtenbuch“ mit den tagtäglichen Aufzeichnungen in Limburgerhof hatten sie ausgegraben. Das alte Firmengebäude, die Werkstatt mit dem „Kontor“ steht zwar saniert, aber doch noch genau wie damals.




Die Orgel

Die Orgel war eine großartige pneumatische spätromantische Orgel mit 34 Registern, 1888 Pfeifen, davon 304 in Holz. Sie war damals wegen der Güte des Materials, der sauberen Arbeit, der musikalischen „Klangfarbenpracht“ als „hervorragend“ bezeichnet worden. Die Aufzählung der Register lässt das Herz höher schlagen, wenn von der trompette harmonique, der flûte harmonique, dem Geigenprincipal oder der Vox coelestis („himmlische Stimme“) die Rede ist. So kann man noch besser verstehen, warum August Tremmel (1895 – 1977)in der Christmette in wunderbarem freien Präludieren aus der Orgel alles herausholen konnte, so dass diese Nacht eine wirkliche „Heilige Nacht“ wurde.


August Tremmel

Uns Kindern galt August Tremmel, der in Limburgerhof genau 50 Jahre (1922 -1972) die Orgel spielte, mit seinem Bart und seiner gütigen Art wie ein Heiliger. Wenige Monate, nachdem diese Feldkircher Orgel durch eine neue ersetzt worden war, verstarb August Tremmel. Der Orgelbauer beteuerte in unserem Gespräch in Feldkich, dass diese Orgel hätte völlig neu saniert werden können und sicherlich heute ein historisches, ungeheuer wertvolles Prachtstück wäre.

Die Stella Matutina

Die Orgel war indes ein Geschenk der Jesuiten in Feldkirch für die Pfarrgemeinde in Limburgerhof. Sie war erst 2 Jahre zuvor in der „Stella Matutina“ in Feldkirch aufgestellt worden. Die „Stella Matutina“ („Der Morgenstern“) war von den Jesuiten in der heutigen Form im Jahr 1900 als Kolleg und öffentliches Gymnasium links der Ill errichtet worden. Seit 1919 beherbergte das imposante Gebäude im Renaissancestil auch die „deutsche Auslandsschule“, ein Gymnasium. Sie galt damals als weltberühmt. Schüler waren u.a. Karl Rahner, Arthur Conan Doyle und Oswald von Nell-Breuning. Aber auch ein Limburgerhofer, Hermann Magin! In einer Zeit der Hochblüte der Stella Matutina musste sie jedoch nach einer Reihe von Schikanen ihr deutsches Gymnasium 1934 schließen.


Auszug der Klasse Delps (rechts)

Der „Umzug“ von Feldkirch in die zuletzt als Spinnerei genutzten Gebäude der ehemaligen Fürstabtei der Benediktiner in St. Blasien bedeutete für den Präfekten der Stella Matutina, Alfred Delp, sowie auch den Limburgerhofer Schüler Hermann Magin einen tiefen bitteren Einschnitt. Alle Versuche, die Stella Matutina in der Folgezeit selbst durch Aufstellung einer neuen Orgel (die spätere Limburgerhofer Orgel!) in der neu renovierten Kapelle zu „konsolidieren“, blieben erfolglos. Diese neue Orgel war von den Jesuiten lange Zeit herbeigesehnt worden und konnte dank der Stiftung eines Schweizer „Alt-Stellaners“ verwirklicht und am 24.10.1937 eingeweiht werden. Am 12. März 1938 besetzten die Nazis die Stella Matutina. Das war ihr Ende. Die Orgel musste ausgeräumt werden.


Kapelle Stella Matutina mit Empore, dem früheren Standort der Orgel

Und hier kommt die Bekanntschaft von Pfarrer Johannes Finck mit Alfred Delp ins Spiel. Es war der Wunsch des Schweizer Stifters der Orgel, dass sie einer bayerischen Diasporagemeinde zugute käme.

Man kann sich gut ausmalen, wie Pfarrer Finck von Alfred Delp einen Wink die Orgel betreffend bekommen hatte. Offensichtlich kannten sich die beiden Geistlichen recht gut. Alfred Delp muss wohl öfter auch im Limburgerhofer Pfarrhaus Halt gemacht haben, auch bei Gelegenheit, wenn er seine Heimat Ladenburg besuchte und dann in der Jesuitenresidenz auf der Parkinsel in Ludwigshafen schlief. Diese Bekanntschaft dürfte aber vor allem in inhaltlich verwandten theologischen Themen und Zielen ihren Grund gehabt haben.


Johannes Finck

Der 19 Jahre ältere Finck (1888 – 1953) hatte sich um die Pfarrei in der „Arbeiterkolonie“ in der 1930 gegründeten politischen Gemeinde Limburgerhof beworben, wo am 1. Mai 1932 seine feierliche Installation stattfand. Der Gottesdienst fand bis zum Bau der neuen Kirche 1937 in der ökumenischen Kapelle im Park statt. Am Kirchweihtag Lätare, dem 7.3.1937, zogen die Katholiken in ihr neues Gotteshaus um. Pfarrer Finck galt als „Arbeiterpriester“, der für die Nöte seiner Gläubigen ein offenes Ohr und ein offenes Herz hatte und sich energisch auch publizistisch und politisch für ihre Belange einsetzte. Man kann mit Fug und Recht sagen, dass er in der ganzen Pfalz und darüber hinaus bekannt war. So gründete er im Dezember 1929 als Chefredakteur zusammen mit seinem Bruder, dem späteren Kultusminister Albert Finck, die „Neue Pfälzische Landeszeitung“, das Organ der Zentrumspartei, die Vorläuferin der heutigen „Rheinpfalz“; mit dabei ist als Anzeigenleiter Joseph Schaub, dessen Nachfahren noch heute die Herausgabe der „Rheinpfalz“ mit betreiben. Finck war 1928 als Abgeordneter in den bayerischen Landtag gewählt worden. Nach dem Krieg wurde er der erste Vorsitzende der pfälzischen Christlich-Demokratischen Union.

Alfred Delp ging es wie auch Johannes Finck aus christlicher Verantwortung um die soziale Frage der Menschen damals, ihre Würde, und darum, ihren Glauben in dieser unseligen politischen Lage zu stärken. Die beiden dürften eine Reihe von Gesprächen gehabt haben und es scheint, dass es bis in manche Diktion hinein gegenseitige Anregung und Befruchtung gab.


Stella-Theater mit Archivar Joseph Gruber

Es wird kein Zufall sein, dass Alfred Delp für das Theater der Stella Matutina ein Theaterstück mit dem Titel „Der ewige Advent“ geschrieben hatte, dessen dritter Akt mit „Der Arbeiterpriester“ überschrieben ist. Darin sagt der Arbeiterpriester: „Ja, es muss sich vieles ändern. Oben und unten… Es ist vieles nicht recht so, wie es ist. Es muss auch vieles außen geändert werden, aber zuerst innen. Es ist außen nur schlecht geworden, weil es zuerst innen schlecht war.“ Kirchen- und gesellschaftskritisch schreibt Delp: „Dass da ein Menschentyp geworden ist, vor dem selbst der Geist Gottes, man möchte sagen, ratlos steht und keinen Eingang findet, weil alles mit bürgerlichen Sicherheiten und Versicherungen verstellt ist, darf nicht nur als Erscheinung der Vergangenheit gewertet werden.“ Er spricht von der „leeren Mitte“. „Der Bürgersinn für die größere Verantwortung starb und übrig blieb der bürgerliche Hunger und Durst nach Wohlfahrt, Pflege, Ruhe, Bequemlichkeit, gesichertem Besitz… Sein ganzes Sehnen und Streben geht danach, ein geborgenes, sicheres Leben zu führen, er möchte Ordnung in der Welt haben, um diese Welt zu besitzen und zu genießen.“

Wer Finck kannte, konnte am eigenen Leib erfahren, wie er die ihm anvertrauten Menschen lebensnah, lebensbejahend, kritisch und überaus fürsorgend an diese „transzendente Mitte“ heranführte. So lag es also nahe, dass Delp, als er von der zur Dispostion stehenden Orgel der Stella Matutina erfuhr, an Johannes Finck und seine Pfarrei dachte.

Ausschnitt Klassenliste

Aber offensichtlich spielte auch der Schüler Hermann Magin aus Limburgerhof eine wichtige Rolle. Seine Familie war 1922 mit ihren 4 Kindern, er hatte 3 ältere Schwestern, aus Otterbach nach Limburgerhof gezogen. Zu dem katholischen Pfarrhaus bestand reger Kontakt. Die älteste Schwester Luise hielt die Poststelle in der damaligen Maxstraße 11 in Limburgerhof, dem Gebäude der heutigen Praxis von Dr. Helmut Lang in der jetzigen Jahnstraße. Hermann Magin war am 25.6.1916 geboren. Ihm und der Frage, ob es einen engeren Zusammenhang zwischen ihm und Alfred Delp gäbe, wollte ich unter anderem in Feldkirch nachgehen. Weitergeholfen hat mir bei meiner Recherche der Archivar der Stadt Feldkirch, Dr. Hans Gruber, der uns tags zuvor kenntnisreich und mit Herzblut durch die beeindruckende Stella Matutina mit ihrer prächtigen Kapelle und ihrem Theater geführt hatte

So fanden wir in einem Schriftstück Hermann Magin als Schüler der 7. Klasse aufgelistet – bei Alfred Delp! Wie sich alles doch fügte: die Verbindung von der Stella Matutina, über Alfred Delp und Hermann Magin nach Limburgerhof in das Pfarrhaus. Hermann Magin musste wie Alfred Delp und alle deutschen „Stellaner“ 1934 nach St. Blasien umziehen.

Die Feldkircher Orgel wurde am 9. Juni 1940 feierlich in Limburgerhof eingeweiht. Hermann Magin war nach dem Abitur eingezogen worden und am 18.8.1940, offensichtlich als erster Limburgerhofer, gefallen als Pilot in Frankreich.


Jesuitenpater Alex Blöchlinger mit Claudia Kern

Ein Foto von dieser Orgel erhielt ich schließlich von dem Jesuitenpater Alex Blöchlinger. Ihn in Frastanz nahe Feldkirch gefunden zu haben, war ein besonderes Glück und die Begegnung mit ihm berührend. Er ist 92 Jahre alt und fährt noch jeden Morgen mit dem Auto nach Feldkirch zur Messe, die er selber hält. Er konnte uns als ehemaliger Rektor der Stella Matutina vieles an Alfred Delp anknüpfend lebhaft erzählen. Er raucht noch immer Zigarren und trinkt ein gutes Viertel Wein, „die Milch der Alten“, wie er augenzwinkernd sagte. Spontan kramte er eine Fotomontage von 1938 heraus, die unsere alte Orgel auf der Empore der Kapelle der Stella Matutina zeigt, sowie den alten Spieltisch – ein Foto, auf dessen Existenz ich besonders gehofft hatte. Wer die Orgel je gespielt hat, wird den darauf abgebildeten Spieltisch sofort wieder als den Limburgerhofer Spieltisch erkennen. Der Orgelprospekt musste freilich der Limburgerhofer Empore entsprechend umgebaut und angepasst werden.

Mit unserem Besuch in Feldkirch konnten wir staunend und dankbar ein denkwürdiges Stück gemeinsamer Geschichte der Gemeinde Limburgerhof mit der Stadt Feldkirch vertiefend entdecken und auch nachempfinden.


Feldkirchs Bürgermeister Walfried Berchtold

Mit Bürgermeister Wilfried Berchtold konnte ich nicht nur über die Vergangenheit und über die Schönheit dieses Landstriches sprechen, sondern auch über die Gegenwart beider Kommunen. Ich versprach, mich mit einigen Bürgern gelegentlich auf die Spuren von Alfred Delp, seinem Wirken in der Stella Matutina und der „Limburgerhofer“ Orgel zu machen. Wenn wir darüber nachdenken, was Limburgerhof ausmacht, dann gehört auch dieses Stück Geschichte zur Identität unserer Gemeinde. Ein, wie ich meine, nicht unbedeutendes Stück Geschichte! Für weitere Informationen und Hinweise bin ich dankbar.