Ein Gründervater Limburgerhofs


Wenn eine Gemeinde ihr 75-jähriges Geburtsjubiläum feiert, dann stehen eine Vielzahl von Festveranstaltungen ebenso selbstverständlich auf dem Jahresprogramm, wie Berichte über die gesellschaftspolitische, bauliche und wirtschaftliche Entwicklung. Auf allen genannten Gebieten hat das junge Limburgerhof einiges zu bieten.

Leicht vergisst man dabei die Umstände und die Menschen, die für die Entstehung eines so außergewöhnlichen Gemeinwesens verantwortlich waren. Eine dieser Persönlichkeiten der ersten Stunde war Michael Stein, von seinen Freunden liebevoll „de Steinemichl“ genannt.

Michael Stein wurde am 13. August 1885 in Mutterstadt in der Eisenbahnstraße als Sohn von Johannes Stein, einem „Aniliner“, geboren. Nachdem seine Mutter bei seiner Geburt verstarb, oblag seine Erziehung zunächst bis zur Wiederverheiratung des Vaters seinen Großeltern. Nach Absolvieren der Schule zeigten sich bereits Ansätze seiner Durchsetzungs- und Überzeugungskraft. Gegen den Willen seiner Stiefmutter, die ihn gerne, wegen des zu erwartenden sofortigen Einkommens, als „Speisbursche“ bei den Maurern gesehen hätte, zog er im Krach aus dem Elternhause aus und begann eine vierjährige Lehre als Maschinenschlosser bei der Maschinen-Fabrik Sulzer in Ludwigshafen. Wie schwierig dieser Entschluss gewesen sein muss, kann man nur ermessen, wenn man sich die Löhne der damaligen Zeit für einen Lehrling vor Augen führt. Im ersten Lehrjahr gab es 6 Pfennige / Stunde mit einer Steigerung auf 11 Pfennige im vierten Jahr. Die Arbeitszeit lag damals bei 60 Stunden / Woche. Michael Stein schreibt in seiner, freundlicherweise von seinem Enkel Dr. Ernst Stein zur Einsicht überlassenen, bislang unveröffentlichten Autobiographie: „Das war ein Bruch in meinem Leben.“ 1906 - 1908 folgte die Einberufung zum Wehrdienst bei der Kavallerie und später bei der Infanterie.

Sein politisches und soziales Engagement begann mit dem Eintritt in die SPD im Jahr 1904, was in der damaligen Zeit Mut erforderte, nicht unbedingt als Karriere fördernd galt und letztlich im Dritten Reich seine negativen Folgen zeigen sollte. Durch die trüben Erfahrungen seiner Jugendzeit geprägt, hatte sich Michael Stein als Maxime für sein gesamtes Leben zurechtgelegt, immer für den Nächsten da zu sein.

Beruflich veränderte sich sein Leben durch den Wechsel 1904 zur Zucker-Fabrik Friedensau auf dem heutigen Gemeindegebiet von Limburgerhof, wo er sich wesentliche Kenntnisse im Maschinenbau erwerben konnte, die ihm dann, nach erneuter Veränderung des Arbeitsplatzes 1911 zur Anilin nach Ludwigshafen, zu statten kam. Er brachte es im Laufe der Jahre dort zunächst zum Meister und zuletzt zum damals angesehenen Rang eines Montagemeisters. 1910 hatte er geheiratet und einen eigenen Hausstand gegründet. Sein Wohnhaus stand ab 1914 in der Herderstr. 7, heute zu Limburgerhof gehörend, damals noch zu Mutterstadt. Neben der beruflichen Herausforderung widmete er sich mehr und mehr seinen politischen Neigungen. So sehen wir ihn bereits nach dem ersten Weltkrieg im Gemeinderat von Mutterstadt.

In dieser Funktion ging er mit anderen Gleichgesinnten energisch den mühevollen Weg der Bildung einer selbstständigen Gemeinde Limburgerhof, der am 1. Januar 1930 mit Verbriefung durch das Bayerische Innenministerium endgültig besiegelt wurde. Er war bei der vorausgehenden, entscheidenden Besprechung mit der Bayerischen Staatsregierung im Vereinshaus der Anilin neben den Bürgermeistern der Landgebergemeinden Mutterstadt, Neuhofen, Schifferstadt und Rheingönnheim, den Bezirksamtmännern (heute Landräte) von Speyer und Ludwigshafen, den Vertretern der Badischen Anilin und Soda Fabrik, gemeinsam mit dem Bauer Hege von Rehhütte - Kohlhof Volksvertreter des Ortsteils um den Bahnhof Mutterstadt (heute Limburgerhof). Somit kann man Michael Stein mit Fug und Recht zu den Gründervätern der in diesem Jahr ihr 75-jähriges Jubiläum feiernden Gemeinde Limburgerhof zählen. Mit Beginn des Dritten Reiches endete seine politische Karriere zunächst jäh, denn er wurde, wie viele andere Funktionäre von bürgerlichen - und Linksparteien, „kalt gestellt“. Sofort nach dem zweiten Weltkrieg aber erschein er wieder auf der politischen Bühne. Für drei Amtsperioden (1946 - 1956) wählten ihn die Bürger diesmal in den Gemeinderat von Limburgerhof, der zuerst Bürgerkomitee hieß. Er übte das Amt des 1. Beigeordneten von 1948 - 1950 aus und war zwischen den Bürgermeistern Georg Schwarz und Dr. Hermann Scherer, dem bisher einzigen Ehrenbürger, sogar Interims-Bürgermeister von Limburgerhof.

In der Badischen Anilin und Soda-Fabrik gehörte er zu den Gründern des Betriebsrates nach dem zweiten Weltkrieg.

Im Jahr 1970 verlor er seine zweite Frau und lebte bis zu seinem Tode selbständig weiter in seiner Heimat.

Seine Hobbys waren neben dem Studium wissenschaftlicher Literatur, Betätigung im Garten und Sportangelei.

In seiner Autobiographie ist eine Fülle Lesenswertes an Zeitgeschichte, über Limburgerhof und die Lebensumstände der Zeit der Inflation sowie der Hamsterfahrten nach dem zweiten Weltkrieg zusammengetragen. Nur den Älteren ist heute noch bekannt, dass ein Hamsterzug, der so genannte „Äppelzug“ täglich zwischen der Pfalz und dem Bodensee pendelte. Viele entlassene Kriegsgefangene bestritten zeitweilig ihren Lebensunterhalt durch Tauschhandel mit Wein aus der Pfalz und in der Gegenrichtung Schnaps und Äpfeln vom Bodensee.

Aus seinen letzten Lebensjahren stammt ein kerniger Spruch zur ausufernden Motorisierung: „Vor Jahren habe ich mal im Fernsehen erfahren, dass ein Bär Motorrad gefahren ist, heute fahren sogar die Esel Auto.“ Vom erfolgreichen Lebenswerk des Limburgerhofer Urbürgers zeugen zahlreiche Berichte in der Presse, die seine unzähligen Ehrungen durch die Partei, die Gemeinde, den Landkreis und das Land Rheinland-Pfalz dokumentieren. Vom Deutschen Gewerkschaftsbund erhielt er neben anderen Ehrungen die höchste Auszeichnung, die Hans-Böckler-Medaille.

Am 2. Dezember 1983 verstarb Michael Stein, der Mitbegründer unserer Gemeinde, im gesegneten Alter von 98 Jahren, als damals ältester Mitbürger von Limburgerhof.